Fernweh.

Das Herz zieht sich in der Brust zusammen, die Augen werden feucht, der Blick geht gen Horizont, wo der Himmel kurz unendlich scheint und ein schrecklich gemeines Gefühl von Vermissen macht sich breit.

Keine Ahnung, wie andere Menschen Fernweh empfinden, aber mir ergeht es dann meisten so wie oben beschrieben. Besonders schlimm ist die Tatsache, dass man nie weiß, wann es einen überfällt. Manchmal steht man ganz ahnungslos an einer Ampel, ist mit den Gedanken unbewusst weit weg und nicht darauf vorbereitet. Dann schlägt es zu und reißt einen mit sich. Gegenwehr zwecklos.
Das Fernweh.
Egal wie wohl wir uns zu Hause fühlen, diese Art des Schmerzes kennen fast alle. Wenn man sich nach Orten sehnt, die man noch nie besucht hat, wenn man von langen Flug- oder Zugreisen träumt sich sich ausmalt, wie es sich wohl anfühlen wird, wenn man an einem fremden Ort aufwacht.
Mir geht es zumindest oft so. Das Phantom Fernweh nimmt mich in den Klammergriff und hält mich so lange fest, bis ich zugebe, dass ich gerne einen neuen Ort von meiner To-See-Liste streichen möchte.

Neben dem ganzen Reisen, fremde Kulturen, fremdes köstliches Essen und oftmals besseres Wetter als zu Hause, reizt mich vor allem eine ganz besondere Sache. Nirgends lerne ich so viel über mich, wie in einem fremden Land, dessen Sprache ich nicht perfekt beherrsche, wo ich niemanden kenne und mich jedes Mal aufs Neue überrasche. Ob in Portugal, Spanien, Frankreich oder Neuseeland. Überall bin ich ein anderer Mensch und wachse mit jeder Herausforderung über mich hinaus. Zuerst etwas ängstlich und zurückhaltend, stottere ich meine Frage nach dem nächsten Hostel über die Lippen, nur um am Tag meiner Abreise oftmals lieb gewonnene neue Freunde zu umarmen und mit Tränen in den Augen wieder in mein altes Leben zu verschwinden.
Am Flughafen oder Bahnhof winke ich nicht nur meinen neuen Freunden, sondern auch der Urlaubsversion von mir zu. Da stehe ich, mit von der Sonne gebleichten Haaren und sonnengeküssten Haut, ich lächele selbstbewusst, habe ein Funkeln in den Augen als würde ich ein Geheimnis kennen, bei dem der Rest der Welt angestrengt rätselt. Das vermisse ich auf meiner Heimreise am meisten. Die bessere Version meiner Selbst, die ich nur in seltenen Fällen über die Landesgrenze zurück nach Deutschland retten kann.

Hier bin ich einfach wieder nur ich. Gewöhnlich und unauffällig. Ich überlasse älteren Damen im Bus meinen Platz, lasse Menschen mit weniger Artikeln im Korb an der Kasse den Vortritt und nehme mir vor lieber die Treppe als den Fahrstuhl zu nehmen. Ich gehe in der Masse unter, bin nichts Besonderes, kein strahlender Stern mit großartigem Humor und einem Charisma, das Leute beeindruckt. Ich bin nur eine junge Frau mit einem Blog und viel zu viel Gedanken für den kleinen Kopf.
War ich an der Algarve nicht noch dieses todesmutige Mädchen, das sich mit Neoprenanzug und Surfbrett in die Wellen gestürzt hat? Literweise Salzwasser geschluckt und kaum eine Welle gestanden hat? Mein Lachen hat man trotzdem am ganzen Strand gehört.

Ich vermisse mich. So sehr, dass ich hoffe bald wieder unter einer akuten Fernwehattacke zu leiden, damit ich – vom Arzt verschrieben – wieder eine Reise buchen kann, nur um eine weitere Facette an mir kennenlernen zu dürfen. Vielleicht gelingt es mir ja, mit jedem Kurztrip ein Stück mehr von mir über die Grenze zurück zu schmuggeln. Dann kann ich mich eines Tages wie ein buntes Mosaik zusammensetzen.

Kennt ihr das Gefühl von Fernweh? Wann überkommt es euch am häufigsten? Oder haltet ihr mich schlichtweg für verrückt?!

 

Euer,

avocadogirl

14 Gedanken zu “Fernweh.

    • Ach 24 ist noch echt jung! Du kannst noch immer die ganze Welt sehen. Der erste Schritt ist immer der schwerste. Aber Fernweh ist, trotz des ganzen Schmerzes, auch immer eine gute Sache. Solange wir das noch fühlen können, sind wir noch lebenshungrig. 🙂

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  1. Dem kann ich absolut nur zustimmen! Seit meinem Austauschsemester habe ich die „Symptome“ fast täglich. Man vermisst einfach das Neue, Unentdeckte, Geheimnisvolle und vorallem sich selbst. Es heißt ja man sei ein anderer Mensch, wenn man eine andere Sprache spricht… Ich glaube das stimmt sogar ein bisschen! Aber ich sehe das ganze als Träumen an, denn tief im Inneren weiß man doch, dass es nicht mehr lange dauert bis man seine 7 Sachen packt und sich auf das nächste Abenteuer einlässt, oder? 🌍✈ Und bis dahein heißt es wohl „Vorfreude ist die schönste Freude“! 😉
    – Lg Worldnetic 😊

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    • Ganz genau! Man wird eben ein anderer Mensch und manchmal ist es eben richtig gut, wenn man sich so kennenlernen kann und darf. Wäre das Reisen nur nicht so teuer, würde ich wohl ständig reisen. An all die Orte, an denen ich noch mehr Dinge über mich lernen darf.
      Darf ich fragen, wo dein Austauschsemester war?
      Liebe Grüße,
      Avocado Girl

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      • Geht mir ganz genauso! Wobei man da in Europa distanzentechnisch noch relativ gut dran ist was das günstige Reisen angeht.
        Ich war in Wisconsin (habe aus diesem Grund dann auch angefangen zu bloggen –> und dadurch eine neue Seite kennengelernt…).
        Meiner Meinung nach ist es jedes Mal aufs Neue ein Privileg und auch Wunder wenn man einen neuen Ort entdecken darf 🙂

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      • Geht mir ganz genauso! Wobei man da in Europa distanzentechnisch noch relativ gut dran ist was das günstige Reisen angeht.
        Ich war in Wisconsin (habe aus diesem Grund dann auch angefangen zu bloggen –> und dadurch eine neue Seite kennengelernt…)

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  2. Liebe Avocado,
    glaub mir, ich kann Dein Fernweh nur all zu gut nachvollziehen. Es gab Zeiten, da bin ich an den Flughafen gefahren, nur um dieses Gefühl wenigstens etwas beruhigen zu können 😉 Ich habe längere Zeit im Ausland gelebt und gearbeitet und bin von dort aus viel gereist. Das hat das Fernweh etwas gestillt. Heute lebe ich wieder im Ausland (Bayern *muahaha*) und es packt mich längst nicht mehr so oft wie früher. Ich denke, Du hast absolut recht – ein ganz großer Anreiz am Reisen ist, viel über sich selber kennenzulernen. Wer man ist und wie man auf Neues reagiert … und auch zu sehen, wie gut es einem wahrlich geht. Da ich mich inzwischen besser „kenne“, helfen auch kleine Tapetenwechsel – wie Wandern in Tirol – um zu sich zu kommen. Doch einmal im Jahr muss es noch die große Fernreise sein … und ob ich meinen Lebensabend in Deutschland beschließen werde … hm… we will see 😉

    Behalte Dir Dein Fernweh bei, denn es zeigt, dass Du offen, wißbegierig und neugierig bist – alles ganz wichtige Eigenschaften, die so vielen engstirnigen Leuten um uns herum fehlen .,, Doch lerne das Gefühl auch ein bisschen zu genießen … und nicht darunter zu leiden!

    Liebe Grüße,
    Kati

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    • An dem Genießen arbeite ich noch. Ich weiß aber, dass ich es brauche. Dann fühle ich mich lebenshungrig. Eines Tages werde ich mich entscheiden, ob ich bleibe oder gehe. Aber dafür habe ich noch etwas Zeit.
      Tirol klingt toll. Und Bayern auch.
      Ich bin gespannt, wo es dich hinverschlagen wird!
      Liebe Grüße,
      Avocado Girl

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  3. Liebe Avocado,
    Dein Gefühl kenne ich sooo gut. Es lässt mich auch nicht mehr los. Um so mehr ich gereist bin, umso schlimmer wurde es. Am liebsten würde ich ein Wohnmobil kaufen und damit um die Welt fahren :).Die Welt ist so wunderschön.
    Liebe Grüße,
    Isabelle

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    • Und ist es nicht schön, dass wir – mehr oder weniger – den wunderschönen, großen Luxus leben dürfen und immer mal wieder die Länder, Orte und Strände besuchen dürfen, nach denen es uns so sehr sehnt? Das nehmen wir viel zu oft als Selbstverständlichkeit an, finde ich.
      Dir noch ganz viele, tolle, großartige Reisen!
      Liebe Grüße,
      Avocado Girl

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  4. Ja, ich kenne Fernweh nur zu gut.
    Wenn ich im Bus oder im Auto sitze, aus dem Fenster schaue und daran denke, dass ich jetzt eigentlich woanders sein könnte. Irgendwo, an einem Ort, den ich noch nicht kenne, etwas neues erleben. Neue Kulturen kennen lernen. Sich einfach für ein paar Tage, Wochen oder Monate wie jemand anderes zu fühlen.
    Dein Beitrag war wundervoll. Danke für die Worte, die mich zum nachdenken gebracht haben!
    Liebe Grüße,
    Stef

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