Das Loben verlernt?

In letzter Zeit spreche ich viel mit Teenagern. Mehr als sonst. Es ist im Moment Teil meines Jobs und öffnet mir die Augen für die großen und kleinen Dinge im Leben.

Neulich kamen wir auf die Frage zu sprechen, ob wir in der heutigen Gesellschaft vielleicht das Loben verlernt haben? Es gab viele Beispiele aus unserem Alltag, die den Jungendlichen eingefallen sind. Von den Lehrern, über ihre Eltern und Freunde bis hin zum bösen, bösen Internet mit seinen Trolls, Kritikern und armen Seelen.

Ungefähr zur gleichen Zeit habe ich bei Twitter eine Diskussion und Unterhaltung zwischen Buchbloggern beobachtet, in der es darum ging, ob sogenannte ‚Rants‘ gegen Büchern (und oft den Autoren dahinter) okay, erlaubt und nicht sogar notwendig seien.

Eine Weile habe ich mitgelesen, mir die Pros und Contras der Parteien, die sehr leidenschaftlich im Vortrag ihrer Argumente waren, durchgelesen und mich dabei ertappt, wie ich selbst anfing darüber zu grübeln, in welchem Maße Kritik an Büchern und den Schriftstellern angebracht ist.

Dann kamen ‚meine‘ Teenager dazu, die mir eine interessante, zusätzliche Sicht auf die Frage gaben. Eines der Mädchen sagte: ‚Wir suchen so sehr den Fehler, weil wir verlernt haben zu loben. Weil wir selbst zu selten gelobt werden.‘

Neulich habe ich ein Buch beendet, das mir total gut gefallen hat. Gut möglich, dass ich es in einem Jahr nicht mehr Wort für Wort zitieren kann, aber für die Dauer des Lesens habe ich es sehr genossen. Aber ist es heute noch okay, wenn man schreibt: ‚Das Buch hat mich super unterhalten.‘

In einer Zeit, in der jeder ein Kritiker ist, in dem es leichter ist die Fehler, Stolpersteine und Schwächen aufzuzeigen, fällt es vielleicht tatsächlich schwer Lob zu posten.
Braucht es diese ‚Rants‘ also wirklich oder sollten wir uns mal wieder mehr im Loben üben?
Kann man das Loben verlernen? 

Meine Teenager sagen JA.

Sie sagen über sich, dass es ihnen leichter fällt, die negativen Dinge bei anderen und sich selbst zu benennen, als die positiven Merkmale. Dabei hatte ich angenommen, Loben ist wie Radfahren – man verlernt es nicht.

Ich habe einige der ‚Rants‘ gelesen, viele waren sehr subjektiv und persönlich, andere sachlich und voller nachvollziehbarer Argumente. Ob man also das richtige Maß an Kritik findet, kommt immer auf die Person dahinter an, nehme ich an.

Doch statt immer nur auf den Schwächen rumzuhacken, sollten wir vielleicht alle mal wieder die positiven Dinge zu schätzen lernen.

An uns selbst.
An anderen.
Aber auch an der Kunst.
An Filmen.
An Serien.
An Büchern.

Es ist leicht über Dinge zu meckern, zu deren Erschaffung wir Verbraucher nicht in der Lage sind. Auch wenn ich jetzt schon die lauten Kommentare höre wie: Ich könnte das besser schreiben, malen, fotografieren, das Tor hätte auch meine Oma noch geschossen …

Ein kleiner Gedankenanstoß für alle: Üben wir das Loben zur Abwechslung mal wieder. Tut sicher nicht weh. Auch wenn man dann weniger ‚angesagt‘ ist oder weniger konträr diskutiert wird und am Ende weniger Klicks bekommt.
Es ist absolut okay, etwas einfach zu mögen. Ohne Haar in der Suppe. Ohne Spurensuche für den kleinen Makel, auf den man sich dann konzentriert und die 340 Seiten Spaß vergisst.

 

Euer

avocadogirl

 

4 Gedanken zu “Das Loben verlernt?

  1. Ich finde es genauso wichtig, jemanden zu loben und zu ermuntern, zu bestärken und das Tolle wahrzunehmen, wie ehrlich, offen aber höflich auch das laut auszusprechen, was noch nicht so gelungen ist. Mit gut gemeinten aber geheuchelten Lobhudeleien hilft man niemanden, besser zu werden. Das Positive darf natürlich auch nicht selbstverständlich hingenommen werden, sondern man darf es auch gerne mal laut sagen, dass einem etwas gut gefallen hat! Und das auch sicher öfter, als es bis jetzt üblich ist. Da muss sich nur jeder an die eigene Nase fassen, denn ein Lob bekommen wir doch schließlich alle gern.

    Was Buchbesprechungen angeht, habe ich allerdings nicht das Gefühl, dass es kein oder zu wenig Lob gibt. Im Gegenteil, Bücher werden tendenziell von Leuten bewertet, die das Buch toll fanden – weil sie sich das erhofft haben, haben sie das Buch schließlich nach dem eigenen Lesegeschmack gekauft. Die wenigsten begeben sich in die Gefahr, dass ihnen ein Buch nicht gefällt, weil sie weder Geld noch Lesezeit für negative Erlebnisse investieren wollen. Ich denke, bei Buchbesprechungen sind wir sicher davor, dass überwiegend zu kritisch und zu negativ bewertet wird und das LOb unter den Tisch fällt.

    LG Gabi

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    • Liebe Gabi,
      ich sehe das ganz ähnlich. Kritik ist wichtig, wobei hier vor allem der Ton eine entscheidende Rolle spielt. Das habe ich bei besagter Diskussion leider vermisst. Ein, zumindest höflicher, Umgangston, in dem man seine subjektiven Eindrücke und die ebenfalls subjektive Kritik fair anspricht – so sollte es ablaufen. Zumindest in meinem Kopf.
      Leider habe ich auch oft den Eindruck, dass manche gerade dem Trend aufsitzen alles besonders überkritisch zu sehen, ellenlange angreifende Abschnitte zu schreiben, in denen man sich in Wiederholungen über die Mängel aufregt, das Positive unter den Tisch fallen lässt, weil man eben besonders kritisch sein will.
      Diese Entwicklung finde ich einfach schade. Man wird schräg angeschaut, wenn man eine Serie, einen Film oder ein Buch einfach mag – auch wenn es nicht perfekt ist (was ist das schon?) und man sich schlicht über die versüßten Lesestunden freut.
      Sicher ist das nicht bei allen Bloggern so, aber das wollte ich damit auch gar nicht sagen. 🙂

      Liebe Grüße,
      die Avocado

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  2. So ein schöner Blogpost, den ich nur unterschreiben kann. Ich mag mich nicht mit Negativität aufhalten oder an ihr festhalten. Weswegen ich in dieser Diskussion bewusst eher wenig bis gar nichts gesagt habe. Und zugegeben, genau dieses Gemotze, Ge-rant-e nimmt mir den Spaß an Twitter.

    Liebe Grüße
    Rebecca

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    • Liebe Rebecca,
      vielen Dank für einen weiteren Kommentar (und das fleißige Retweeten bei Twitter ❤️).
      Ich hoffe, der Beitrag macht auch klar, dass Kritik natürlich notwendig ist. Aber ja, es wurde immer mehr ein Gemotze und es wurde oft sehr persönlich, was ich schade und unnötig fand.
      Vielleicht kann man ja zumindest bei den Dingen, die man gut fand, die Freude und Begeisterung darüber als Lob teilen und nicht immer nach dem (vielleicht nicht vorhandenem) Fehler suchen.
      Schön zu sehen, dass es nicht nur mir so ging bei der Diskussion.
      Liebe Grüße,
      die Avocado

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